Wilhelm Wolff, Frohnauer Geologieprofessor und Heimatdichter

Wilhelm Wolff ließ sich schon im Jahre 1912 von dem bekannten Architekten Heinrich Straumer in Frohnau ein Haus bauen. Damals war er 40 Jahre alt. Sein Haus stand in der Markgrafenstraße 65, doch das Grundstück reichte bis zur Ariadnestraße. Später verkaufte er den Straumer-Bau an den Schulmeister Johann Hinrich Lühmann, trennte den an die Ariadnestraße grenzenden Teil des Grundstücks ab und ließ sich dort ein neues Haus bauen.

Wilhelm Wolff kam aus Norddeutschland, genauer gesagt, aus Hildesheim, wo er am 13. Juli 1872 geboren wurde. Seine Jugend verbrachte er in der schleswig-holsteinischen Grenzstadt Hadersleben (Haderslev), und hier machte er zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Fremdsprache, dem Dänischen. Da wurde ihm, wie er über sich schreibt, „der Sinn für Form, Wesen und Lautleben von Sprachen eröffnet: Dänisch, Schwedisch und Norwegisch, Friesisch, Holländisch..." Als er später in seinem Beruf als Geologe zahlreiche Auslandsreisen unternahm, beschäftigte er sich außerdem mit dem Spanischen, dem Türkischen, dem Malaiischen und nicht zuletzt dem Russischen. Englisch, Französisch, Latein und Griechisch waren ihm von der Schule her vertraut.

Als seine zweite Heimat bezeichnet Wolff die Stadt Altona; dort legte er zu Ostern 1891 die Reifeprüfung ab. Wie er schreibt, kam er in Altona „in die Geologie hinein." Er durchforschte die Moränen am Elbstrand und die Eidelstedter Berge und legte sich eine Geschiebe- und Fossiliensammlung zu, wobei ihm der Hamburger Geologe Professor Gottsche mit Rat und Tat zur Seite stand. Es war diese Tätigkeit, die, wie er schreibt, seine „rezeptive Phantasie mächtig erfüllte."

Mit dieser Selbsteinschätzung – Sprachinteresse einerseits und Interesse an der Naturwissenschaft andererseits – beschreibt Wilhelm Wolff den Hintergrund zu der Frage, die sich ihm eines Tages stellte: Soll er seinen Beruf im sprachlichen, gar im dichterischen Bemühen finden, oder doch lieber in der Naturwissenschaft, der Geologie, die sich ihm als sein zweites Interessengebiet offenbart hatte. Den „dichterischen Drang" habe ihm sein Vater vererbt, seines Zeichens Schulmeister und zuletzt Gymnasialdirektor an der Domschule in Schleswig. Er entschied sich für die Geologie, da er seine dichterische Gabe schließlich als zu gering einschätzte.

Diese Entscheidung ist ihm wahrscheinlich auch deswegen schwergefallen, weil sein Körper, wie er es ausdrückt, „schwach angelegt" und „nicht wehrhaft" war. Menschen mit schwacher Konstitution seien auf den Gebrauch und die Entwicklung ihrer geistigen Kräfte angewiesen. Das soll jedoch nicht heißen, dass Wolff seinem Körper nichts abverlangt hätte. Zumindest in seiner Jugend übte er sich im Turnen, Schwimmen, Rudern, Segeln und Reiten. Schließlich verbringt ein Geologe viel Zeit im Freien, nimmt mühsame Exkursionen auf sich und muss fast jedes Wetter ertragen. In einem Gedicht spricht er von sich als „altgedienter Wetterhaut".

Bei aller Konzentration auf seine naturwissenschaftliche Tätigkeit ging Wolff zuweilen doch seinem „dichterischen Drang" nach. So schrieb er über seine Zunft:

Geologen-Liedchen

Die Maienblumen blühen,

Die Sonne scheint ins Haus.

Nun treibt man mit den Kühen

Die Geologen aus.

Wie da in heller Freude

Manch alter Krippler hupft,

Und die Diätenweide

Voll Frühlingshunger rupft!

Und wie er ohne Rasten

Umher am Boden späht,

Daß seinem Forschertasten

Kein Wissenskraut entgeht!

Rafft, rupft in Sommertagen,

Der Winter bleibt nicht weit,

Dann haben Kopf und Magen

Zum Wiederkäuen Zeit!

 

Sein Berufsleben begann Wilhelm Wolff als „Bergbaubeflissener" beim Oberbergamt Clausthal und verbrachte sein praktisches Jahr im Harz bei der Blei-Zinkerz-Grube „Hilfe Gottes" und am Deister bei der Kohlengrube „Klosterstollen". Es folgte ein Studium an den Universitäten in Bonn und Göttingen und an der Bergakademie Berlin.

In Berlin gelangte er zu der Erkenntnis, dass er sich lieber ganz der Geologie zuwenden sollte, denn ihm lag „außerordentlich schlecht", was man im Bergfach so an Technik- und Jurakenntnissen brauche, an Einblicken in die Mathematik und die berechnende Physik. So ging er nach München, studierte weitere vier Semester vor allem Geologie und promovierte am 6. Juli 1896 unter Professor von Zittel mit einer paläontologischen (sich mit Fossilien beschäftigenden) Arbeit, die den Titel trug: „Die Fauna der südbayerischen Oligocän-Molasse". (Für Wissensdurstige: Oligocän beziehungsweise Oligozän ist eine Epoche innerhalb des Tertiärs, und mit Molasse bezeichnet der Geologe feinkörnige weiche Sandsteine im Vorland der Alpen).

Jetzt stand ihm zwar keine steile Karriere bevor, doch ging es Schritt für Schritt aufwärts. Noch am 1. September des Jahres 1896 trat er als Hilfsgeologe in die Preußische Geologische Landesanstalt in Berlin ein, erhielt im Mai 1902 die Planstelle eines Bezirksgeologen und wurde im Juli 1908 zum Landesgeologen befördert. Am 18. Mai 1912 erhielt er die Amtsbezeichnung Professor. Das war das Jahr, in dem er, wie eingangs erwähnt, in die Gartenstadt Frohnau zog. Elf Jahre später wurde er der Nachfolger des Frohnauer Geologen Konrad Keilhack, als er nämlich die Stelle eines Abteilungsdirektors für das Flachland erhielt.

Seinem neuen Wohnort war er sehr verbunden, er hielt Vorträge im Grundbesitzer-Verein und schrieb über den Grund und Boden der Gartenstadt: „Angesichts der großen Unterschiede in der Beschaffenheit kann man ein allgemeines gärtnerisches Rezept für Frohnau nicht geben. Während auf den Lehmflächen alles gedeiht, was dem hiesigen Klima angemessen ist, z.B. auch Nußbäume, Pfirsiche, Quitten, Weinstöcke und Tomatenstauden, muß man auf tiefgründigem Sand auf manche Zier- und Nutzpflanzenarten (nicht aber z.B. auf Weinstöcke und Kirschbäume) verzichten." (Gartenstadt Frohnau, Frohnauer Bürger erforschen ihren Ortsteil von der Gründung bis heute, b + r hildebrandt, Christiane Knop, Haude und Spener 1960, Seite 78). Über die Frohnauer dichtete er:

 

Sie kommen aus dem Weltstadtgrau

Zurück von schweren Mühen

Zur grünen Au, zur frohen Au,

Wo ihre Freuden blühen.

 

Auch zwei der drei Kinder Wilhelm Wolffs, Teda und Harald, waren in Frohnau keine Unbekannten. Der 1905 geborene Harald Wolff wurde in jungen Jahren Frohnaus erster evangelischer Kantor und gründete im Dezember 1926 den Kirchenchor der Johanneskirche. Seine Schwester Teda war Musiklehrerin und trat bei Kirchenkonzerten als Solistin auf. Bei einer Abendmusik im Juni 1947 spielte sie, wie ein altes Plakat verkündet, auf ihrer Blockflöte Sonaten alter Meister.

Das Jahr 1933 und der Beginn der NS-Herrschaft brachte für Wilhelm Wolff eine schicksalsschwere Wende. Er bezeichnete sich als sozialistischen Demokraten „ohne irgendwelche politischen Ambitionen." Doch ein Bekannter, dessen Namen er nicht nennt, denunzierte ihn bei der Partei, was am 18. August 1933 zu seiner Entlassung aus dem Staatsdienst führte. Diese Entlassung und die damit verbundene Minderung seiner Einkünfte war der Grund, warum Wolff sein Haus in der Markgrafenstraße verkaufte und sich in der Ariadnestraße ein kleineres baute. Sein Sohn Harald verließ die Gartenstadt und suchte sich in Bremen eine neue Stelle als Organist und Chorleiter.

Es scheint schwer verständlich, dass die Nazis Wilhelm Wolff zwangspensionierten. Anfangs schien er wie viele andere das neue Regime zu begrüßen Jedenfalls schrieb er für das „Frohnauer Kirchenblatt" vom April 1933 ein Gedicht mit dem Titel „Deutsches Gotteslied", dessen fünfte und letzte Strophe lautete:

 

So laß uns, Herr, an Deiner Hand

gleich ihnen mutig wandern:

Ein Volk, Ein Gott, Ein Vaterland

drin einer dient dem andern!

Und geht in höchster Weihestund'

Dein heil'ger Kelch von Mund zu Mund:

Mit Leib und Leben eine

in Dir die Volksgemeine.

 

Dazu muss man wissen, dass der damalige Frohnauer Pfarrer und Herausgeber des „Frohnauer Kirchenblattes” Mitglied der NSDAP war und sich zu den hitlerhörigen Deutschen Christen zählte. Im Kirchenblatt finden sich zum Beispiel Berichte von der „Reichstagung der Deutschen Christen" von Anfang 1933, in denen von einem „Aufbruch der Nation" als einem „gottgewollten Geschehen" die Rede ist. Es wird der „Reichsleiter" Pfarrer Hossenfelder zitiert, der die biblische Vorstellung vom tausendjährigen Reich (Offenbarung, Kapitel 20) auf das dritte Reich der Nationalsozialisten übertrug. Und der neu berufene Reichsbischof Ludwig Müller wird in der Ausgabe vom Oktober 1933 mit den Worten zitiert: „Gerade der Ewigkeitsauftrag der Kirche verlangt, dass wir die neue Stunde erkennen; ein neues Reich ist im Werden, ein neuer Mensch ist im Werden..."

Man darf sich allerdings nicht täuschen lassen. Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam”, also der Einberufung des neuen Reichstags und vor allem der symbolkräftigen Begegnung des Reichskanzlers Hitler mit dem Reichspräsidenten Hindenburg vor der Potsdamer Garnisonskirche, hielt der damalige Generalsuperintendent der Kurmark und spätere Landesbischof von Berlin-Brandenburg D. Dr. Otto Dibelius eine Predigt, die im Kirchenblatt vom April 1933 abgedruckt ist. Ihr Schluss lautet: „Das ist unser Gebet: dass Gottes Gnadenhand über dem Bau des Deutschen Reiches die Kuppel wölbe, die einem deutschen, einem geheiligten, einem freien Volk den Blick für immer nach oben zieht! Deutschland wieder und für immer: Ein Reich, ein Volk, ein Gott!" Der damaligen Aufbruchstimmung konnte sich kaum jemand entziehen, und fast jeder wollte durchaus Volksgenosse sein.

Doch Dibelius erging es nicht viel anders als Wilhelm Wolff. Im Oktober 1933 wurde er von den Nationalsozialisten in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Mochte er anfangs noch die ersten antisemitischen Maßnahmen der neuen Herrscher gebilligt haben, so wandte er sich 1934 entschieden der oppositionellen „Bekennenden Kirche" zu.

Trotz seiner Entlassung aus dem Staatsdienst wurde Wolff im 2. Weltkrieg als „Sachverständiger der Wehrgeologie" zum Dienst im Heereswaffenamt herangezogen. Kurz nach Kriegsende, im Juni 1945, wurde er trotz seiner inzwischen fast 73 Lebensjahre erneut zur Mitarbeit in der Geologischen Landesanstalt berufen, der Nachfolgeorganisation der 1939 aufgelösten Preußischen Geologischen Landesanstalt. Dort war er noch drei Jahre tätig. „Aber der 1. Oktober 1948 brachte meinen Abschied aus Altersgründen und machte mich zum Rentenempfänger," schreibt er in seinen Lebenserinnerungen.

Seine Pension konnte er allerdings nicht mehr lange genießen. Am Montag, dem 17. September 1951, starb er im Wilmersdorfer Gertrauden-Krankenhaus an Herzschwäche. Seine Urne wurde auf dem Frohnauer Städtischen Friedhof an der Hainbuchenstraße beigesetzt. Mit ihm war ein Frohnauer dahingegangen, der auf vielen Gebieten, besonders natürlich auf geologischem erfolgreich war. Man erinnert sich seiner als feinsinnigen, zurückhaltenden Menschen, der allerdings auch, wie der Verfasser seines Nachrufs (H.-L. Heck) schreibt, durchaus „eine scharfe Sprache zu reden und eine spitze Feder zu führen" wusste.