Max Hensel, ein Frohnauer aus Niederschönhausen

Wer die „Frohnauer Geschichten” aufmerksam liest, weiß natürlich, dass Max Hensel nicht der erste Niederschönhauser Frohnauer ist, den ich meinen Lesern vorgestellt habe. Auch Hermann Schoening, der Gründer der RABOMA-Maschinenfabrik, und Geo Arand, der Chef des „Berliner Tanz- und Schauorchesters” und später (mit seiner Frau Lilo) Besitzer des „Tanzcafés Frohnau” wohnten zunächst in Niederschönhausen. Nicht zuletzt hatte auch ein Sohn von Johannes Schiller (Piano-Schiller) sein Haus in diesem Ort.

Zum Teil kannten sich die späteren Frohnauer schon in Niederschönhausen, denn sie wohnten dicht beieinander in einer westlich vom Schloss Schönhausen gelegenen Wohnkolonie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer stattlichen Villensiedlung herangewachsen war. Lilo Arand kann berichten, dass die Arands kurz vor dem Einmarsch der Russen Schutz bei den Schillers in deren Keller suchten.

Nicht lange nachdem die Siedlung von der Sowjetarmee eingenommen worden war, mussten die Einwohner – soweit nicht bereits geflüchtet waren – ihre Häuser verlassen. Jetzt zogen die sowjetische Militäradministration und deutsche kommunistische Politiker hier ein, und mit der Gründung der DDR entstand hier das so genannte „Städtchen”, ein hermetisch abgeschlossenes Wohnghetto für SED-Größen.

Unter den vertriebenen Niederschönhausern, die in Frohnau unterkamen, befand sich auch der Kommerzienrat Max Hensel. Er zog zu seinem Sohn Gerhard in die Olwenstraße. Viele Frohnauer werden sich an die großen Fabrikhallen mit dem Schriftzug Max Hensel in der Hermsdorfer Straße erinnern, an denen der Bus A 12 auf seinem Wege zum Wedding vorbeifuhr. Eine der Hallen wurde übrigens von den in Frohnau gut bekannten Architektenbrüdern Walter und Johannes Krüger gebaut.

Max Hensel stammte aus dem Städtchen Mühlberg an der Elbe, das heute zum südwestlichen Zipfel des Landes Brandenburg gehört. Dort war er am 11. September 1878 als Sohn eines Schuhmachers zur Welt gekommen. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Lehre in einer Maschinenfabrik und gleichzeitig ein Abendstudium an einer Ingenieurschule. Als Zwanzigjähriger trat er bei der Berliner Maschinenfabrik C. (Carl) Hoppe seine erste Stelle als Ingenieur an. Hier hatte übrigens der Flugpionier Otto Lilienthal seit 1872 als Konstruktionsingenieur gearbeitet.

Carl Hoppe baute zwar in erster Linie Dampfmaschinen, hatte darüber hinaus noch ein reichhaltiges Sortiment an Produkten, darunter hydraulische Anlagen und Apparate, wie sie auch für den Theatermaschinenbau verwendet wurden. Der Bühnenbau erregte das Interesse des jungen Ingenieurs, das er nicht wieder verlor, auch nicht, als er längst Besitzer der Wittenauer Maschinenfabrik war.

Max Hensels Lebensweg ist von zahlreichen Erfolgen gekennzeichnet. Mit 26 Jahren wird er Oberingenieur, mit 32 entwickelt er ein Patent für Drehbühnenkonstruktionen und gründet zusammen mit dem Ingenieur Heinrich Kölle die Maschinenfabrik Kölle & Hensel, mit 41 wird er Kommerzienrat. Er übernimmt Aufsichtsratsposten in anderen Firmen und sogar die Funktion eines Handelsgerichtsrats. In den Jahren 1934 und 1935 ist er Mitglied des Präsidiums der Industrie- und Handelskammer zu Berlin. Bis 1945 rüstet er nahezu jedes Theater in Berlin mit Bühnenmaschinen aus. Auch nach Übersee werden seine Produkte geliefert. Als einer der führenden Industriellen genießt er besondere Privilegien und steht auch der Politik der Nazis durchaus aufgeschlossen gegenüber.

Sein nicht unbeträchtliches Einkommen hatte es ihm erlaubt, sich schon früh in der Niederschönhauser Wohnsiedlung eine der größten und markantesten Villen zu bauen. Doch noch vor Kriegsende verließ er sein Domizil, in das nach der Besetzung der Villenkolonie durch die Sowjetarmee zunächst Oberstleutnant Petkun zog, der sowjetische Kommandant von Pankow. Seit April 1946 wohnte Otto Grotewohl in Hensels Villa. Grotewohl war nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD einer der Vorsitzenden der SED und später Ministerpräsident der DDR.

Die Sowjets legten dem Fabrikbesitzer keine Steine in den Weg, brauchte man ihn doch als Spezialisten für die Instandsetzung der Berliner Theater, von denen sich die meisten im Sowjetsektor befanden. Seine Firma hatte sogar den Admiralspalast wieder hergerichtet, in dem am 21. und 22. April 1946 der so genannte Vereinigungsparteitag von KPD und SPD stattfand. Bis 1948 folgten das Theater am Schiffbauerdamm, der Friedrichstadtpalast und die Komische Oper.

In Wittenau wurden die Werkshallen und der weitgehend erhaltene Maschinenpark so weit möglich wieder instandgesetzt und das Herzstück des Betriebs, eine große Krananlage, neu montiert. Doch dann folgte unter der französischen Besatzung Reinickendorfs die Demontage des Betriebs, an deren Ende die Hallen leer zurückblieben. Das ehemalige NSDAP-Mitglied wurde enteignet und die Fabrik unter Treuhandschaft gestellt. Diese endete am 1. November 1948 mit der Rückübertragung des Betriebs an den Eigentümer Max Hensel.

Als Hensel am 11. März 1951 stirbt, hat trotz der Teilung Deutschlands und der Schwierigkeiten, die die Berliner Insellage mit sich bringt, ein langfristiger Aufschwung bereits eingesetzt. Jetzt übernimmt der Sohn des Firmengründers, Dr. Gerhard Hensel, die Leitung des Betriebs. Er hatte schon eine Reihe von Jahren in der Firma gearbeitet und war von seinem Vater auf diese Aufgabe vorbereitet worden. Ein Schwerpunkt bleibt der Bühnenbau, auch wenn der Kran-, der Waggon- und der Fräsmaschinenbau wichtige Bestandteile des Produktionsprogramms darstellen.

Nachdem die Kriegsschäden an den Theatern Berlins und der Bundesrepublik weitgehend behoben sind, gehen die Aufträge trotz der Berlin-Förderung zurück. Auch die Bundesbahn reduziert die Anzahl ihrer Aufträge, denn sie fährt seit Jahren Milliardenverluste ein. So können im Jahre 1975 nur noch etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt werden. Zwei Jahre später müssen erhebliche Verluste bilanziert werden, die der Firmeninhaber unter anderem auf die gestiegenen Sozialabgaben zurückführt. So zeichnet sich die Stilllegung des Werkes bereits ab. Am 22. September 1978 wird der Betriebsrat davon in Kenntnis gesetzt, dass zum 31. März 1979 die Schließung der Hensel-Werke vorgesehen sei.

Am 23. April des Jahres findet die Versteigerung der Maschinen und der Betriebseinrichtungen statt. Danach gibt es gewissermaßen eine zweite Demontage, das heißt die Betriebsstätten und das Verwaltungsgebäude werden völlig leer geräumt. Schließlich wird am 31. August 1979 das Betriebsgelände dem Käufer, nämlich dem Land Berlin, übergeben. Gerhard Hensel ist unterdessen 69 Jahre alt und zieht sich ins Privatleben zurück. In Frohnau bewohnt er von 1956 bis zu seinem Tode im Oktober 1994 die firmeneigene Villa in der Ariadnestraße.

Zurück bleibt die Erinnerung an die weltbekannte Firma, die nicht nur deutsche und ausländische Theater mit moderner Bühnentechnik ausrüstete, sondern auch ganze Container-Terminals mit Portalkränen versah und lange Zeit jährlich 450 Güterwagen an die Bundesbahn auslieferte. Zu den Berliner Baustellen gehörten neben den Theatern und der Deutschen Oper Berlin das Palais am Funkturm, das ICC und sogar das Hahn-Meitner-Institut in Wannsee.

Zum Schluss noch eine Kuriosität am Rande. In der eingangs erwähnten RABOMA-Fabrik (Radialbohrmaschinen) von Herrmann Schoening arbeitete ein gewisser Peter Hensel, Gerhard Hensels Sohn aus erster Ehe. Irgendwie scheinen die Niederschönhauser Frohnauer ein besonderes Völkchen zu sein, das gern zueinander findet.