Kleine Anzeigen von 1948

Es ist schon recht interessant, in einer alten Zeitung zu blättern. Zwar heißt es im Volksmund „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern”, doch wenn sie von vorgestern ist, gilt dieser Spruch nicht mehr. Eine alte Zeitung kann dem Leser das Gefühl vermitteln, ganz nah am Puls der Zeit zu sein, am Puls einer vergangenen Zeit. Man hat plastisch vor Augen, was den Menschen damals wichtig war.

Manches findet man in den Geschichtsbüchern wieder oder zumindest bei Wikipedia. Nehmen wir den 24. Juni 1948. Das war auf alle Fälle ein geschichtsträchtiger Tag. Durch die Presse wurde den Berlinern bekannt gegeben, dass auch sie, wie vorher die Westdeutschen und die Bewohner der Sowjetzone, die alte Reichsmark in neues Geld umtauschen mussten. Und dass die Russen die Stromlieferungen nach West-Berlin gesperrt hatten. Eine andere kurze Meldung im „Tagesspiegel” vom gleichen Tag trägt die Überschrift: „Auch Güterverkehr eingestellt.” So etwas ist natürlich in die Geschichtsschreibung eingegangen. Und dazu etwas, das die Menschen damals nicht ahnten. Der Tag war der Beginn einer elfmonatigen Blockade.

Was nicht in den Geschichtsbüchern steht und auch nicht bei Wikipedia, was aber doch die Menschen bewegt, das kann man in den Kleinen Anzeigen finden. Hier kommen Privatpersonen und Geschäftsleute mit ihren Wünschen und Bedürfnissen zu Wort. Im Jahre 1948 gehörte die Abteilung „Ankauf – Verkauf – Tausch” zu den wichtigsten; sie führt dem heutigen Leser am deutlichsten den damaligen Alltag vor Augen. Es herrschte Mangelwirtschaft. Vieles war schwer oder gar nicht zu bekommen. So versuchte man sein Glück mit Hilfe der Kleinen Anzeigen. Zu verkaufen hatte fast niemand etwas, al­lenfalls war man bereit, eine Sache gegen eine andere einzutauschen.

Werfen wir also einen genaueren Blick in den „Tagesspiegel” vom 24. Juni 1948. In seinem so genannten Beiblatt sind 80 Kleine Anzeigen abgedruckt. Nur zwei der Inserenten wollten etwas verkaufen, einer einen Theodoliten und ein zweiter „einige neue RV 12 P 2000”. Was ein Theodolit ist, werden die meisten wissen. Es ist ein wichtiges Messinstrument für den Landvermesser oder Geodäten. Weniger bekannt mag die RV 12 P 2000 sein. Unter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine Verstärkerröhre, die bei der Wehrmacht für die Funkgeräte gebraucht wurde. Der Verkäufer hatte höchstwahrscheinlich fabrikneue Wehrmachtsgeräte ausgeschlachtet und bot nun die Röhren Radiobastlern an, die sie für zivile Apparate verwenden konnten.

Von den übrigen 78 Inserenten wollte einer tauschen. Die restlichen 77 wollten etwas kaufen. Der Tauschwillige suchte Autoreifen verschiedener Größen. Dafür bot er fünf Elektromotoren, deren Eigenschaften er genau beschrieb. Und er vergaß nicht zu erwähnen, dass sie von Siemens-Schuckert waren. Autoreifen waren in der Nachkriegszeit eben wichtiger als Elektromotoren. Er war auch nicht der einzige, der Autoreifen suchte. Da war zum Beispiel die Firma „Wa-Ka-Dra-Gummi” aus der Hannoverschen Straße, die Autoreifen und Schläuche suchte. Das Gleiche tat die Firma Auto-Benedyk aus der Bülowstraße.

Aus heutiger Sicht war es eine verkehrte Welt, eine Welt, in der man, wie gesagt, keine Waren anbot, sondern sie suchte, weil sie auf dem normalen Markt nicht zu bekommen waren. Den Geschäftleuten unter den Inserenten lag viel daran, ihre Produktion wieder auf- beziehungsweise auszubauen. Eine Firma aus der Her­mannstraße suchte Röhren, Kondensatoren, Selenscheiben, Radio- und Elektromaterial und versprach günstige Preise. Das Kaffee-Lebensmittel-Großhandelshaus Alfons Beck suchte Branchen-Erzeug­nisse für seinen Abfüllbetrieb, nämlich Bakelitverschlüsse sowie neue und gebrauchte Korke. Außer­dem suchte die Firma mehrere neuwertige Kaffee-Röstmaschinen. Der im noch vorhandenen Berliner Schloss beheima­tete Verlag Deutscher Verein für Kunstwissen­schaft suchte Packpapier, Wellpappe und Bind­faden, wahrscheinlich um seine Waren versen­den zu können.

So mancher Unternehmer hielt nach Kraftwagen Ausschau. Die gab es natürlich auch nicht neu zu kaufen, sondern nur gebraucht. (Die wenigen neu gebauten, wie zum Beispiel der „Käfer”, waren den Alliierten vorbehalten.) Eine Damenhutfabrik wollte einen kleinen Pkw kaufen, vorzugsweise einen Mercedes 170 V oder einen Ford Eifel (beides Vorkriegsmodelle). Die „Dorea-Werke” in Frankenberg/Sachsen suchten einen Lkw, 3-5 t, und waren sogar bereit, ihn unbereift zu nehmen. Eine Kohlengroßhandlung hatte einen langen Wunschzettel. Sie suchte nicht nur Zugmaschinen und Anhänger, sondern auch einen Pkw, der nicht vor 1938 gebaut, also nicht älter als sechs Jahre alt sein sollte. Auch Fahrzeugbereifung stand mit auf dem Wunschzettel.

Manchmal denkt man doch, hier werden die eigenen Produkte zum Kauf angeboten, zum Beispiel wenn der bekannte Deutsche Adressbuch-Verlag von Dr. Walter Kaupert eine Annonce aufgibt. „Der Kaupert” ist schließlich ein Begriff. Aber nein, er preist nicht seinen „Straßenführer durch Berlin” an, sondern sucht „Glühbirnen in allen Stärken”. Wahrscheinlich waren die Geschäftsräume nur minimal beleuchtet.

Wie sehr der Verkäufer und nicht der Käufer König war, geht aus der folgenden Kleinen Anzeige hervor. Die Firma Hafin aus der Charlottenburger Wielandstraße sucht Werkzeuge wie Spiralbohrer, Gewindebohrer, Schneideisen, Reibahlen, Messwerkzeuge, Feilen und Sägen. So weit, so gut. Doch dann überrascht die Firma mit der folgenden Mitteilung: „Für auswärtige Besucher steht Gästezimmer zur Verfügung!” Wenn man in Rechnung stellt, wie umständlich und zeitraubend das Reisen war und wie schlecht die Verkehrswege, so war das sicher ein attraktives Angebot.

Was die Inserenten wohl nicht in Rechnung gestellt hatten, war die Währungsreform, die über Berlin an eben jenem 24. Juni 1948 hereinbrach. Reichsmark und damit Kaufkraft war bis dato reichlich vorhanden, aber plötzlich war sie kaum noch etwas wert. Nur ein „Kopfbetrag” von 60 Reichsmark konnte 1:1 in die neue Deutsche Mark umgetauscht werden, der Rest wurde radikal abgewertet. Da wird sicher so manches Kaufangebot hinfällig geworden sein.