Eine Tenniszeitung im Julmond

Julmond? Nun, wer die Texte im Frohnau-Kalender von 2012 aufmerksam gelesen hat, weiß, dass es ne­ben den geläufigen Monatsnamen auch germanische gab, die während der NS-Zeit zwar nicht offiziell, aber doch beliebt waren. Es gab da die Monate Hartung, Hornung, Lenzing, Ostermond, Wonnemond, Brachet, Heue(r)t, Ernting, Scheiding, Gilbhart, Nebelung und Julmond. Nachzulesen unter dem Monat November.

Im Jahre 1940 gaben drei junge Männer eine „Tennis­zeitung der Junioren in der Tennisvereinigung Froh­nau e.V.” heraus, und zwar im Julmond, also im De­zember – vielleicht als Unterhaltung für eine Weih­nachtsfeier. Es war bereits der zweite Monat Dezem­ber des 2. Weltkrieges, der am 1. Septem­ber 1939 be­gonnen hatte. Auf den ersten Blick ist nicht zu erken­nen, dass man sich im Kriege befand. Der Ton ist heiter bis spöttisch, von Ängsten und Sorgen keine Spur. Das heißt, vielleicht nicht ganz. Doch davon später.

Im ersten Teil der Zeitung werden die Junioren in lau­nigen Vierzeilern vorgestellt, 15 Damen und 21 Her­ren, darunter auch zwei der Autoren. Über Alfred Zech ist zu lesen: „Gestatten Sie, ich bin so frech, mein Name lautet Alfred Zech. Die Ilse fuhr nach Wien mir wech, und auch mit Inge hatt' ich Pech.” Jeder Vierzeiler ist mit einer kleinen aber gekonnten Karikatur versehen, die Arno Reinike zeichnete. Sein Vers lautet: „Der Arno ist ein weiser Mann, fäßt jedes Ding stets richtig an. Wenn er beim Tennis mal nichts kann, dann ärgert er sich dann und wann.”

Wie schon angedeutet, ist der Krieg doch nicht völlig aus der Zeitung verbannt. Noch wirkt er nicht bedroh­lich, denn noch schreitet die Wehrmacht von Sieg zu Sieg. Und so sind die Verse, die sich auf den Kriegs­dienst einiger Clubmitglieder beziehen, nicht allzu beunruhigend. Über Wolfgang Bortz heißt es: „Der Sieger im Turnier ist Bortz, auch Holzkopf nennt man ihn hierorts, zu Witzen immer aufgelegt, zur Artillerie er jetzt bald fegt.” Dazu hat Arno Reinike eine Kari­katur gezeichnet, die an die dem Baron von Münch­hausen zugeschriebene Lügengeschichte vom Ritt auf der Kanonenkugel erinnert. Der Film mit Hans Albers als Lügenbaron wurde übrigens erst 1943 gedreht.

Etwas ernsthafter sind Reime wie: „Seit kurzem ist er nun schon beim Militär, der Abschied von uns fiel ihm doch recht schwer.” Und „ Jetzt geht er zu den Kraftradschützen und wird dort Blut und Wasser schwitzen.” Und „Mit 25 Pf Reinverdienst ist Dieter jetzt im Arbeitsdienst.”

Dass man sich im Krieg befindet, wird erst ein paar Seiten später expressis verbis zugegeben, allerdings bezeichnenderweise in einer Komödie, die den Titel „Die Unumgänglichen” trägt und die die Frohnauer Tennisspieler auf die Schippe nimmt. Als eine Tennisspielerin nach neuen Bällen fragt, antwortet die Frau des Platzwarts: „Denken Sie sich so, wir haben doch Krieg! Herrschaften, wo soll'n wir denn die Din­ger hernehmen?”

Noch deutlicher wird der Bierkutscher, der einen Ka­sten Getränke liefert. Er sagt zum Platzwart: „Du, Knoop, weeßt du schon, se haben wat fallen ge­lassen, und die feinen Pinkels spielen hier Tennis.” Als Knoop nicht versteht, ergänzt der Bierkutscher: „Mensch, Maxe, du kommst wohl aus'n Mustopp. Halb Frohnau is een Trümmerhaufen.”

Nun, ganz so war es nicht. Nach allem, was bekannt ist, fielen die ersten Bomben in Frohnau am 10. April 1941, also knappe vier Monate nach dem Erscheinen der Tenniszeitung. Allerdings hatte es bis zum Dezember 1940 schon mehr als fünfzig Fliegeralarme für ganz Berlin gegeben.

Am 25. August 1940 hatten die Engländer einen schweren Angriff auf die Reichshauptstadt geflogen und zwar als Ver­geltung für die Bombardie­rung Londons am Vortage durch die deutsche Luft­waffe. Damals waren die nördlichen Be­zirke Pankow und Reinickendorf am stärksten betrof­fen. So weit weg war das nicht von der Gartenstadt, und es ver­mittelte einen Vorgeschmack dessen, was auch in Frohnau geschehen sollte.

Aber zu nahe lässt man den Krieg nicht an sich heran­kommen. Etwas leichtsinnig wird der Platzwart mit „Heil Knoop!” begrüßt. So ein Gruß offenbarte alles andere als die bedingungslose Systemtreue, die von den Deutschen damals erwartet wurde. Und dass die Autoren der Zeitung die Frohnauer Tennis­spieler als „feine Pinkels” bezeichnen, deutet auf einige Selbst­ironie hin, schließlich sie waren ein Teil dieser Gruppe. Sie waren sich wohl dessen bewusst, dass man in der NS-Zeit den Tennissport höheren Orts nicht sehr schätzte, denn er gehörte nicht zu den Wehrsportarten. Außerdem wurde das damalige Tennisidol Gottfried von Cramm von den Nazis als Homosexu­eller verachtet, was dem Ansehen dieser Sportart auch nicht gerade förderlich war.

So hatte der Tennissport und speziell die Tennisverei­nigung Frohnau in der NS-Zeit einen schweren Stand. Nicht zufällig war es damals fast unmöglich, neue Tennisbälle zu bekommen. Die Abneigung zwischen NS-Staat und Tennissportlern war gewiss gegenseitig. Kaum ein Frohnauer Tennisspieler wurde Mitglied der Staatspartei. Vielleicht spielte auch das eine Rolle, als die drei Junioren die „Tenniszeitung” verfassten. Die Verwendung der Ausdrücke „Julmond” und „Heil Knoop” signalisierten sicher eine gewisse ironische Distanz zum herrschenden System. Und wonach tanzen die Junioren und Juniorinnen? Nach einer Musik, die damals unerwünscht war und die Frau Knoop als „reine Negermusik” bezeichnet.

Eine der in der Tenniszeitung von 1940 genannten Juniorinnen der Frohnauer Tennisvereinigung ist Margot Voigt. Sie lebt noch heute in Frohnau. An die Zeitung und sogar an ihren Vers kann sie sich genau erinnern. Er lautet: „Frau Hohmann, dieses blonde Kind, schlägt jeden Ball gut und geschwind. Sie ist ein wenig burschikos; im Swingtanz hat sie auch was los.” „Frau Hohmann” war ihr Spitzname, denn mit einem Herrn Hohmann verband sie eine enge Freundschaft. Warum die Zeitung entstanden ist? „Nun,” sagt sie, „wir wollten ein schönes Erinnerungsstück haben.” Man fühlte, dass der Krieg ihrem unbeschwerten Beisammensein bald ein Ende setzen würde. Und so war es auch. Viele Junioren blieben im Krieg, und von denen, die ihn überstanden, zogen so manche weg aus Berlin, das damals wenig Zukunftschancen bereit hielt.