Drei verschwundene Frohnauer Restaurants

In meiner Kindheit gingen meine Eltern mit meinen Schwestern und mir niemals in ein Restaurant. Wahrscheinlich war es ihnen einfach zu teuer. So kam ich zum ersten Mal in meinem Leben in ein Restaurant, als mich die Eltern meines Freundes etwa 1949/50 einluden. Wir gingen zur Straße Am grünen Hof, wo sich zwischen Ludolfingerweg und Benediktinerstraße die Gaststätte „Am grünen Hof” befand. Der Krieg lag noch nicht weit zurück, so war die Speisekarte im Vergleich zu heute karg. Für mich war alles so ungewohnt und aufregend, dass ich mich nicht daran erinnern kann, was ich zu essen und zu trinken bekam. Als wir uns dann voneinander verabschiedeten, ging ich etwas benommen nach Hause und erzählte meiner Mutter, was ich Schönes erlebt hatte.

Da fiel mir siedend heiß ein, dass ich völlig vergessen hatte, mich zu bedanken. Wie peinlich! Ich suchte verzweifelt nach einer Ausrede, aber mir fiel nichts wirklich Passendes ein. Als ich am nächsten Tage wieder bei meinem Freund war, bedankte ich mich nachträglich bei seiner Mutter für die Einladung und fügte hinzu, das sei so meine Art, mich erst einen Tag später zu bedanken. Dann könne ich die empfangene Wohltat erst richtig würdigen. Die Mutter sah mich etwas merkwürdig an, sagte dann aber: „Ach so, ich hatte mich schon gewundert.” Sollte sie mir tatsächlich diese ausgesprochen blöde Ausrede abgenommen haben?

Das Restaurant „Am grünen Hof” war, wie Ilse Lindemann in ihrem Bericht über das Ende des Zweiten Weltkriegs in Frohnau schreibt, schon Anfang 1947 von einem ehemaligen Koch des berühmten Hotels „Esplanade” eröffnet worden. Offenbar war er nicht nur ein guter Koch, sondern auch ein hervorragender Organisator, denn er erhielt für seinen Betrieb so viele Lebensmittel zugeteilt, dass er eine ganze Menge Gäste mit Essen versorgen konnte. Wer das Anstehen in den Geschäften satt und genug Geld in der Tasche hatte, konnte hier ohne Mühe zu seiner Mahlzeit kommen. Es gab Omelettes („Omelette Confiture”), Fleisch und viel Gemüse, das sich der Koch dank seiner guten Beziehungen zum Großmarkt verschaffen konnte. Sogar Süßkartoffeln verarbeitete er zu wohlschmeckenden Gerichten.

Eine andere besondere Erinnerung habe ich an die Kneipe im Maximiliankorso, die nicht weit von der damaligen Kastanienallee (heute Stolzingstraße) lag. Eines Abends gingen mein Freund und ich auf ein Bier zu Frau Majewskis Restaurant, sozusagen nichts Böses ahnend. Nach einer Weile wurden wir von einem Mann eingeladen, mit ihm auf das Wohl seiner Tochter zu trinken. Es stellte sich heraus, dass er gerade Vater geworden war, und das wollte er begießen. Nach ein paar weiteren Gläsern Gerstensaft lud er uns zu sich nach Hause ein. Uns erschien das ungefährlich, schließlich waren wir zu zweit. Und es war auch ganz harmlos, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass wir nicht mehr ganz nüchtern und auch nicht gerade trinkfest waren. Er ging mit uns zur Nibelungenstraße, gar nicht weit von meinem Haus, zeigte uns sein Haus und seine Heizungsanlage, auf die er mächtig stolz zu sein schien, und bot uns zur Bekämpfung eines drohenden Katers ein paar Gürkchen an. Das Rezept war vielleicht gut gemeint, aber schlecht in seiner Wirkung. Bald nach dem Verzehr suchten meine Gürkchen mitsamt dem Bier ihren Weg nach draußen.

Trotzdem bin ich auf Sonntagsspaziergängen immer wieder gern ins Restaurant am Maximiliankorso eingekehrt. Viele Frohnauer gingen auch zum Frühschoppen zu Frau Majewski, die die Kneipe zusammen mit dem Gastwirt Werner betrieb. Übrigens hatte damals der „Nord-Berliner” hier ein Verteilerdepot. Bei Frau Majewski holten die Austräger der Lokalzeitung ihre Exemplare ab, um sie in Frohnau zu verteilen.

Noch ein weiteres Frohnauer Restaurant, das es heute nicht mehr gibt, ist mir in guter Erinnerung. Wir nannten es „Volksgaststätte”. Der Name, der über sei­nem Eingang stand, lautete allerdings „Berliner Kindl”. Hier kehrten ein anderer Freund und ich nach der Übungsstunde des Posaunenchors gern ein, um un­sere durstigen Kehlen zu netzen. Das Interieur der Volks­gaststätte war nicht gerade luxuriös, nicht einmal an­heimelnd, aber lange blieben wir ohne­hin nie dort. Was mir aber im Gedächtnis blieb, ist ein altes Re­klameschild, das für „Pilsner Urquell” warb. Das fand ich ganz erstaunlich, wo doch Pilsen hinter dem Eisernen Vorhang lag. Ein „Pilsner Urquell” würden wir in Frohnau wohl niemals zu kaufen bekommen, dachte ich mir leicht wehmütig. Nicht, dass ich etwa wusste, wie dieses Bier schmeckt, nein, es ging einfach darum, mal etwas Exotisches zu kosten. Damals gab es in Berlin mehr oder weniger nur Berli­ner Bier. Wie sich die Zeiten ändern...

Die „Volksgaststätte” hatte in Frohnau eine wichtige Funktion. Als unser Markt noch groß und attraktiv war mit vielen Ständen und einer großen Auswahl an Lebensmitteln, Blumen, Pflanzen, Kurzwaren, Modeartikeln und vielen anderen Dingen, belieferte die Kneipe die Markhändler mit Speis’ und Trank. Besonders im Winter war es wichtig, die Lebensgeister der frierenden Verkäufer mit heißem Kaffee oder einem Schnäpschen wieder zu wecken. Die Volksgaststätte hatte nicht nur zum Zeltinger Platz, sondern auch zum Markt hin einen Ausgang, so dass die Kellnerin keinen weiten Weg zu ihren Kunden hatte. Man kannte sich, man scherzte miteinander, mit einem Wort, die Kneipe war populär, eben eine Volksgaststätte.