Als die Schule zur Wechselstube wurde

Am 24. Juni 1948 bekam die 18. Volksschule in der Edith-Cavellstraße (heute Gollanczstraße) eine besondere Aufgabe. Nun, besondere Aufgaben hatte sie schon vorher bekommen, Luftschutz, Solda­tenunterkunft, Wahllokal. Doch diesmal ging es um die von den Westmächten angeordnete Währungs­reform. Und so wurde die Volksschule in der Edith-Cavell-Straße für zwei Tage im Juni zur Um­tauschstelle von Reichsmark in Deutsche Mark.

Dass die Bewohner der Westsektoren die neue Währung Westdeutschlands erhalten würden, war an­fangs durchaus nicht klar. Schließlich hatte die alte Reichshauptstadt nach Kriegsende einen Sonder­status, den Viermächte-Status. Doch auf den Vorschlag der Westmächte, für ganz Berlin eine eigene Währung zu schaffen, ließen sich die Sowjets nicht ein. Schließlich lag nach ihrer Lesart ganz Berlin „in der sowjetischen Besatzungszone”.

Nachdem am 20. Juni des Jahres in den drei westlichen Besatzungszonen die Deutsche Mark einge­führt worden war, holte die sowjetische Besatzungsmacht am 23. Juni zum Gegenschlag aus und führte in ihrer Zone die DM-Ost ein. Doch die sollte, wie gesagt, nicht nur in der Sowjetzone gelten, sondern auch in ganz Berlin. In der sowjetamtlichen „Täglichen Rundschau” war zu lesen, dass in Berlin „nur die Währung der sowjetischen Besatzungszone” in Umlauf sein werde.

Das konnten und wollten sich die Westmächte nicht gefallen lassen, denn eine solche Maßnahme hätte den Einfluss der Sowjets auf ganz Berlin enorm verstärkt. Ohnehin eskalierte der Ost-West-Konflikt in jener Zeit in besorgniserregendem Maße. Also erklärten die Westmächte alle Erlasse der Sowjets, die Groß-Berlin betrafen, für ungültig in West-Berlin. Außerdem ordneten sie an, dass die in West­deutschland neu eingeführte Deutsche Mark vom 25. Juni an auch in den drei Westsektoren die alte Reichsmark ersetzen werde. Das einzige Zugeständnis an den Viermächtestatus war, dass die in West­berlin ausgegebenen Banknoten mit einem „B” abgestempelt wurden, was die Berliner Schnauze so­fort zum Anlass nahm, die neuen Scheine „Bärenmark” zu taufen.

Das hieß nun nicht, dass die Westberliner vom 25. Juni an nur noch mit Westgeld zahlen würden. Der „Tagesspiegel” vom 24. Juni 1948 schrieb: „Bewirtschaftete Lebensmittel, Grundstücksmieten, Steu­ern, Beförderungsgebühren und so fort dürfen in Deutscher Mark und Deutschen Pfennigen bezahlt werden mit der Maßgabe, daß der Zahlende die Wahl hat zu entscheiden, welcher Währung er sich dabei bedienen will.”

Das hört sich heute sehr merkwürdig an. Anscheinend konnte man sich anfangs noch nicht vorstellen, dass der anfängliche Umtauschkurs von 1:1 sich sehr schnell zu Ungunsten der Ostmark ändern würde. Natürlich bezahlte man die erwähnten Waren und Dienstleistungen auch in West-Berlin mit Ostmark und konnte so eine Menge Geld sparen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Löhne und Gehälter in West-Berlin zunächst höchstens zu einem Viertel in Westmark ausgezahlt wurden. Den Rest ihrer Einkünfte erhielten die West-Berliner in Ostmark. Erst ab März 1949 wurde die Westmark zum alleini­gen Zahlungsmittel in West-Berlin.

Eher hatte man damals die Vorstellung, dass die Westmark mit ihrer größeren wirtschaftlichen Kraft quasi den Ostsektor erobern würde. „Der Tagesspiegel” schrieb dazu: „Der Präsident der Wirtschafts­kommission für die Ostzone machte sich in seiner gestrigen Pressekonferenz zum Sprecher aller derer, denen diese Befürchtungen keine Ruhe lassen.” Nach seinen Worten sei die Einführung der Deutschen Mark in Berlin der Versuch, „die Wirtschaft der Sowjetzone zu stören.”

Die Gefahr, dass die Doppelwährung die Spaltung der Stadt vorantreiben würde, wollte man anschei­nend nicht sehen. Ernst Reuter, damals noch Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe und zwar gewählter, aber von Sowjets nicht anerkannter Oberbürgermeister von Groß-Berlin, sagte: „Seitdem die westlichen Besetzungsmächte für ihre Sektoren Anweisungen getroffen haben, besteht kein Grund zur Beunruhigung mehr. Es wird in Berlin zwei Währungen geben, und die Stadtverwaltung wird weiterarbeiten wie bisher.” Doch mit der gemeinsamen Stadtverwaltung war es schon Ende November 1948 vorbei.

Die Währungsreform war das beherrschende Thema der Presse. Dass am 24. Juni die Berliner Blockade begonnen hatte, wurde erst langsam klar. Sonst hätte es im „Tagesspie­gel” sicher nicht die Über­schrift gegeben: „Reuter: kein Grund zur Beunruhigung”.

Dabei hatten die West-Berliner durchaus Grund zur Beunruhigung. Zwei Artikel auf der Titelseite des „Tagesspiegels” vom 24. Juni lauteten: „Russen sperren Stromlieferungen” und „Auch Güterverkehr eingestellt.” Außerdem wurden die Berliner und Berlinerinnen zu einer Kundgebung auf dem ehemaligen Hertha-Sportplatz am Bahnhof Gesundbrunnen aufgerufen, auf der Ernst Reuter „zu der durch den russischen Willkürakt geschaffenen Lage” sprechen sollte.

Am 25. Juni 1948 lautete die Schlag­zeile des Tagesspiegels: „Berlin wird nicht hungern. Ein historischer Tag – Warnung vor Gerüchten. Erklärung Oberst Howleys.” In dieser Erklärung des amerikanischen Kommandanten Howley war zunächst von den Vorteilen der Wäh­rungsreform die Rede. Doch gegen Ende seiner Ausführungen hieß es plötzlich: „Gegenwärtig haben die Russen den gesamten Transport von Lebensmitteln und Rohmaterialien für die Industrie in Berlin gestoppt.” Und dann zur Beruhigung: „Ich halte es für richtig, der Berliner Bevölkerung mitzuteilen, daß die im amerikanischen Sektor vorhandenen Lebensmittelvorräte der Stadt dreißig Tage ausrei­chen. Wir werden nicht zulas­sen, daß die Berliner Bevölke­rung hungert.”

Dreißig Tage! Wie es sich herausstellte, währte die Blockade fast 11 Monate! Am 9. September 1948 wandte sich Reuter mit seinem Hilfe­ruf „Schaut auf diese Stadt” an die Völker der Welt mit der Aufforderung, das eingekes­selte Berlin nicht im Stich zu lassen. Zu der Zeit war die Luftbrücke schon in vollem Gange. Doch so ganz konnte sie den Hunger in Berlin nicht verhindern. Da half auch das schöne neue Geld nicht.

Übrigens waren die Frohnauer nicht die einzigen, die ihr Geld in der Volksschule an der Edith-Cavell-Straße tauschten. Unter der Überschrift Auszahlungsstellen, französischer Sektor, stand Folgendes: „Frohnau und Stolpe: Volksschule, Edith-Cavell-Str. 8/9”. Ja, auch Stolpe gehörte zur Zeit der Wäh­rungsreform noch zum französischen Sektor, obwohl es außerhalb der Berliner Stadtgrenze lag. Das war allerdings am 21. Dezember 1948 vorbei, als die Sowjets das Dorf besetzten.