Stolpersteine in der Markgrafenstraße

Solche Stolpersteine gibt es schon seit 1993. Damals hatte der Kölner Bildhauer Gunter Demnig die Idee, mit Hilfe dieser kleinen Mahnmale an Menschen zu erinnern,  die während der NS-Herrschaft in Konzentrationslagern und Vernichtungslagern starben. Anfangs gab es Vorbehalte gegen die unkonventionelle Aktion. Doch unterdessen sind über 22.000 dieser Gedenksteine in 530 Ortschaften verlegt worden (April 2010).Sie symbolisieren Tausende von Schicksalen, die von örtlichen Arbeitsgruppen oder Schülern erforscht und vor dem Vergessen bewahrt wurden.

Die fünf Stolpersteine, die am 16. Juli 2007 vor dem Grund­stück Markgrafenstraße 64 verlegt wurden, sind nicht die er­sten in Frohnau. Etwa ein Jahr zuvor, am 22. August 2006, hatte Gunter Demnig bereits zwei solcher Steine vor dem Grundstück Kreuzritterstraße 12a in den Bürgersteig versenkt. Damals gedachte man des Schicksals von Arthur und Herta Israel, die 1941 nach Riga deportiert und im dortigen Konzen­trationslager umgebracht wurden.

Diesmal ging es um fünf Opfer des NS-Regimes, und zwar um David Heimann und vier seiner Familienmitglieder. Heimann war Kaufmann und Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Nordberlins und der Gebiete nördlich der Hauptstadt. Die Synagoge der Gemeinde befand sich in Hermsdorf im Falkentaler Steig 16. Diese so genannte „Kleine Hermsdorfer Synagoge“ machten die NS-Behörden Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu einem „Judenhaus“, in das die Familie David Heimanns und andere jüdische Mitbürger zwangsweise umgesiedelt wurden, bevor man sie in verschiedene Konzentrationslager deportierte. Heimanns Frau Rosa starb am 1. Januar 1942 im „Judenhaus“.

Sein Haus in der Markgrafenstraße musste David Heimann im Zuge der zynisch so genannten Entjudung Ende 1940 verkaufen. Damals gab es einen Streit, denn der Käufer behauptete, das Haus sei heruntergewirtschaftet gewesen und er habe viel investieren müssen, um es bewohnbar zu machen. Der zum Verkauf gezwungene Besitzer wollte sich nicht beugen und verlangte einen höheren Preis. Letzten Endes blieb es bei dem Preis, den die städtische Preisbildungsstelle auf 59 100 Reichsmark festgelegt hatte. Am 11. September 1942 wurde David Heimann nach Theresienstadt deportiert. Von dort kam er nach Minsk, wo man ihn ermordete.

Seit jener schlimmen Zeit sind viele Jahre vergangen. Neben der Reinickendorfer Arbeitsgruppe „Stolpersteine“, deren Anliegen das Schicksal der NS-Euthanasieopfer war, widmet sich jetzt ein weiterer Arbeitskreis den anderen Opfergruppen, also auch den jüdischen Opfern des Naziregimes. Für die Verlegung der Stolpersteine sind Paten notwendig, die die Kosten von € 95 pro Stein tragen. Zwei solcher Patenschaften hat der Frohnauer Grundbesitzerverein übernommen.

Vor der Verlegung der in Messing eingehüllten Betonsteine, in die Demnig den Namen, das Geburtsjahr, den Tag der

Deportation, den Sterbeort und den Sterbetag – soweit bekannt – einstanzt, wird der jeweilige Lebenslauf des Opfers erforscht. Für die Feier vor dem Grundstück Markgrafenstraße 64 hatte eine Gruppe von Abiturienten der Thomas-Mann-Oberschule diese Aufgabe übernommen. Eine Schülerin trug den Lebensweg von David Heimann, seiner zweiten Frau Rosa Heimann, seiner Schwester Bertha Nördlinger, seiner Tochter Else Michaelis und deren Ehemann Hans Michaelis mit großem Ernst vor.

Zuvor hatte die Reinicken­dorfer Stadträtin für Schule, Bil­dung und Kul­tur, Katrin Schultze-Berndt, eine Ansprache gehalten. Als erst­es begrüßte sie Wolfgang Hirsch, den En­kel des Hausbe­sitzers David Heimann. Hirsch war für die Feier extra aus Pinneberg ange­reist. Ka­trin Schultze-Berndt betonte, dass die Aktion Stolper­steine die Opfer der NS-Diktatur aus ihrer An­onymi­tät holen solle. Das Ge­denken finde ganz kon­kret am authen­tischen Ort statt, dort wo die Fa­milien gelebt und die Kinder gespielt ha­ben. Es gelte die Ge­schichte leben­dig zu erhalten und die Op­fer von Ge­waltherr­schaft, also auch die Maueropfer, vor dem Vergessen zu bewahren.

Höhepunkt und Abschluss der Gedenkfeier war das Verlesen des Kaddisch, des jüdischen Totengebets der Leidtragenden. Wolfgang Hirsch war sichtlich ergriffen, als er das Gebet im Angesicht der Gedenksteine für seine ermordeten Verwandten in hebräischer und in deutscher Sprache vortrug,  und er hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Viele Zuhörer nahmen Anteil an dem Leiden, das vor ihren Augen so dramatisch sichtbar wurde. Nach der Feier gab es die Gelegenheit, mit dem Heimann-Enkel über sein Schicksal zu sprechen. Er zählte, dass er noch nach Kriegsbeginn im Jahre 1939 mit einem Kindertransport zunächst nach Dänemark und danach nach Schweden gebracht worden und damit dem Schicksal vieler seiner Verwandten entkommen war. Bevor er sich wieder auf den Heimweg machte, besichtigte Wolfgang Hirsch zusammen mit der jetzigen Hausbesitzerin das Haus seiner Vorfahren, das er seit seinem 15. Lebensjahr nicht wieder betreten hatte.