Pfarrer Hermann Tönjes

Hermann Tönjes war wohl deshalb der Wunschkandidat der Frohnauer Evangelischen Kirchengemeinde, weil man sich von ihm versprach, dass er sich mehr, als es sein Vorgänger Dr. Curt Kuhl zuletzt getan hatte, um die Gemeinde kümmern würde. Außerdem erwartete man von ihm, dass er durch eine neutrale Haltung im Kirchenkampf die Gemeinde befrieden würde. Nach Beginn der NS-Zeit hatte Kuhl eine hitlerfreundliche Position eingenommen und sich auf die Seite der „Deutschen Christen“ gestellt, die angesichts der Machtübernahme vom „Aufbruch der Nation“ und vom „gottgewollten Geschehen“ sprachen. Doch sowohl die Mitglieder der „Deutschen Christen“ als auch die der oppositionellen Gruppierung „Evangelium und Kirche“ im Gemeindekirchenrat hatten in einem gemeinsamen Schreiben an das Konsistorium um die Ablösung Kuhls und seine Ersetzung durch Hermann Tönjes gebeten.

Tönjes genoss großes Ansehen, weil er lange Zeit Missionar der Rheinischen Missionsgesellschaft im heutigen Namibia war, wo er im Gebiet der Ovambos wirkte. Man bewunderte seine afrikanischen Sprachkenntnisse und die afrikanischen Kunstgegenstände in seinem Hause. Er war als junger Missio­nar nach Afrika gegangen, hatte danach von 1908 bis 1910 Vorlesungen am Orientalischen Institut der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (ab 1949 Humboldt-Universität) gehal­ten, wurde ans Reichskolonialamt in Berlin berufen und kehrte noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach Afrika zurück.

Die Engländer, die 1915 die ehemalige deutsche Kolonie besetzt hatten, machten ihn 1917 zum Pfarrer in Windhuk, wo er die deutsche Gemeinde betreute und an drei Schulen Reli­gionsunterricht erteilte. Einmal sollte er wegen einer Predigt, die den Briten missfiel, ausgewiesen werden, doch widerrief man diesen Befehl und machte ihn zum Pfarrer in Swakop­mund. Im Jahre 1922 wollte er in seiner Heimat Urlaub ma­chen, blieb dann aber wegen der undurchsichtigen Verhält­nisse in Südwestafrika in Deutschland, arbeitete einige Zeit in Witzenhausen als Leiter des „Evangelischen Hauptvereins für die deutschen Ansiedler und Auswanderer e.V.“ und kam mit der Verlegung des Vereinssitzes 1928 nach Berlin. Im September 1931 wurde er – eigentlich schon pensioniert – Pfarrer der Evangelischen Gemeinde des Invalidenhauses in der Scharnhorststraße in Berlin Mitte. Von dort holte man ihn nach Frohnau – wie gesagt in der Hoffnung, dass er die dortige Evangelische Gemeinde befrieden möge. Am 1. März 1937 trat er offiziell die Nachfolge Dr. Kuhls an, nachdem er seit 1935 in Frohnau schon kommissarisch tätig war.

Tönjes wird als nüchtern und durch seine Erfahrungen in Afrika geprägt beschrieben. Die „Deutschen Christen“ hatten wohl erwartet, er werde ihren großdeutschen Träumen zugäng­lich sein, doch Tönjes in seiner konservativ-deutschen Haltung scheute sich nicht, das Fragwürdige an der nationalsozialisti­schen Ideologie sogar von der Kanzel herab deutlich zu benen­nen. Die Formulierung in der Urkunde für den Grundstein des neuen Kirchengebäudes, dass hier nichts anderes verkün­det werden solle als das reine Evangelium, geht auf seine Ver­anlassung zurück. Im Übrigen arbeitete er mit der Gemeinde­helferin Erna Obermeit zusammen, die Mitglied der Bekennt­nisgemeinde war.

Was Tönjes wohl nicht verhindern konnte, war die Teilnahme von SA-Leuten an der Einweihungsfeier des neuen Gotteshau­ses am Cecilienplatz (Zeltinger Platz) am 1. November 1936. Wenn in dem Einla­dungsschreiben zu dieser Feier die Gruß­formel „Heil Hitler“ verwendet wird, so hat das allerdings we­nig zu sagen, da der „Hitlergruß“ allgemein auch in den Schreiben der Kirche an offizielle Stellen verwendet wurde. Zu welcher Gelegenheit die Hakenkreuzstandarten aufgehängt worden sind, die man auf einem Foto rechts und links vom Altar an den Seitenemporen sieht, ist nicht bekannt. Offen­sicht­lich ist das Foto nicht während eines Gottesdienstes auf­genommen worden, denn die Bankreihen der Kirche sind leer.

Neben der seelsorgerlichen Tätigkeit nahmen Ausbau und Einweihung des neuen Gotteshauses viel Zeit und Kraft des Pfarrers in Anspruch. Man muss sich vor Augen halten, dass Hermann Tönjes zu Beginn seiner Tätigkeit in Frohnau bereits 65 Jahre alt war. Ein besonderes Anliegen war ihm der Kon­firmandenunterricht, den er als Gegenpol zu dem oft ideolo­gisch ausgerichteten Religionsunter­richt an den Schulen auf­fasste. Er vermittelte viel biblisches Wissen; bei ihm musste gepaukt und auswendig gelernt werden, und seine Prüfungen waren anspruchsvoll und streng. Trotzdem respektierte ihn die angesichts der Kriegsgeschehnisse von Zweifeln geplagte Jugend als hilfreiche Autorität. Im Jahre 1942 musste Tönjes mit an­sehen, wie drei der vier Kirchenglocken als „Metallspende“ an die Rüstungsindustrie gingen und wie dann der Bombenkrieg die Stadt mehr und mehr zerstörte. Als er im Oktober 1944 starb, war das Ende des Dritten Reiches abzusehen.