Kupferhäuser in Frohnau

In der RBB-Abendschau vom 27. Dezember 2009 gab es einen Bericht über Kupferhäuser in Berlin. Sie sind sämtlich auf der Berliner Denkmalliste verzeichnet und stehen in Köpenick, Steglitz, Zehlendorf und Reinickendorf. Zwei der ursprünglich drei Reinickendorfer Kupferhäuser kann man in Frohnau be­wundern, eins in der Alemannenstraße 16 und das zweite im Jostweg 13. Das dritte ist inzwischen abgerissen worden. Es stand in Konradshöhe.

Das Haus im Jost­weg wurde in der Fern­seh­sen­dung nicht ge­zeigt, das in der  Aleman­nenstraße nur kurz. Immerhin wurde erwähnt, dass es (ebenso wie das Haus im Jostweg) zum Typ Kupfer­castell gehört. Es wurde 1933 gebaut und ist noch fast im Originalzustand er­halten. Das betrifft vor allem das Dach, die Fassade und die Wandverklei­dung aus geprägten Stahlble­chen. Diese sind mit Rauten und Jugend­stilmotiven ge­schmückt. Das Haus gehört dem Ehepaar Hans-Jürgen und Gerlinde Gerhardt, die es 1999 erbten und bezogen. Der Bau­herr war Heinrich Wilhelmi, ein Studienrat für Mathematik und Ge­schichte am Hermsdorfer Gymna­sium. Sein Haus war schon etwas Besonderes, und so dauerte es nicht lange, bis ihn seine Schüler Kup­fer-Willy nannten – natürlich nur hinter sei­nem Rücken.

Am 9. Juni 1933 hatte Wilhelmi sein Haus in Auftrag gegeben mit der Maßgabe, dass er es am 1. September des gleichen Jah­res beziehen wolle. Der Gesamtkauf­preis betrug 14.000 Reichsmark. Anscheinend hat er sich völlig auf die Zusagen der Firma verlassen, so gingen die Wilhelmis wäh­rend der Bauzeit in Urlaub. Und tatsächlich, als sie nach drei Wochen zu­rückka­men, konnten sie ihr neues Heim beziehen.

Die Gerhardts sind mit ihrem Haus sehr zufrieden. Seit sie dort wohnen, ist ihr Interesse an Kupferhäu­sern immens ge­stiegen. So haben sie sich inzwischen alle noch vorhandenen Kupferhäuser angesehen, ob sie nun in Zeuthen, Dahlem, Zeh­lendorf  oder im   Eberswalder Stadtteil Finow stehen. Neben dem Typ Kupfercastell gibt es noch Lebensquell, Lebenssonne, Frühlings­traum, Juwel, Sonnenschein, Kupfermär­chen, Mai­enmorgen, Eigenscholle, Sorgenfrei und Kupferstolz. Am häu­figsten verkauft wurden die villenartigen Typen Kupfercastell und Kupferstolz.

Nach der Werbung aus den dreißiger Jahren sollte solch ein Kupferhaus in 24 Stunden errichtet wer­den können. Die „Abendschau“ zweifelte zu Recht daran, denn der Innenausbau nahm doch längere Zeit in Anspruch. Doch sie wies dar­auf hin, dass diese Art von Hausbau eines der frühesten Beispiele der Fertigbauweise war. Das Patent gehörte der Deutschen Kupferhaus Gesellschaft m.b.H. (DKH), die ihren Sitz in Ber­lin NW 7 hatte, und zwar Unter den Linden 65. Die einzelnen Elemente der mit den Ble­chen verkleideten Holzrahmenkon­struktion hatten Universalendun­gen, die man ziemlich pro­blemlos zusammenschrauben konnte. Da­nach deckte man die Kanten mit Kupferblechstreifen ab. Auch für die Dachdeckung wurde Kupferblech verwendet. Die vorgefertigten Teile wurden per LKW zur Baustelle gefahren.

Kupfer­häuser wie die in Frohnau sind gut isoliert; zwischen der kupfernen Außenhülle und den Metall-„Tapeten“ im Inneren, die einen Hohlraum von zwölf Zentimetern Tiefe bilden, sind fünfzehn Schichten Dämmmaterial aus getränkter Dachpappe und  Aluminium­folie. Hans-Jürgen und Gerlinde Gerhardt verbrauchen im Winter etwa halb soviel Heizöl wie ihre Nach­barn, die ein vergleichbar großes konventionelles Haus haben. Allerdings, das müssen sie zugeben, wird es im Sommer im oberen Stockwerk recht warm. Auf dem erhitzten Blech könne man ohne weiteres ein Ei braten, fügen sie hinzu. Doch wenn man die Zimmer genügend lüfte, sei es dort durchaus erträg­lich.

Hergestellt wurden die Bauelemente im Eberswalder Ortsteil Finow. Das dortige Messingwerk wurde schon 1698 gegründet und arbeitete bis 1945. Im Jahre 1863 übernahm es der Indus­trielle Gustav Hirsch für einen Kaufpreis von 100.000 preußi­schen Talern. Er produzierte Bleche, Drähte, Kessel und Röh­ren, aber auch Munitionshülsen, Zün­der und Granaten. 1872 hatte das Werk  zweihundert Arbeiter, 1918 waren es bereits 2390. Hirsch kümmerte sich sehr um seine Arbeiter und baute die bereits vor­handene Messingwerksiedlung erheblich aus. 1899 übernahm sein Neffe Aaron Hirsch das Werk und grün­dete auf seiner Grundlage die Hirsch Kupfer- und Messing­werke (HKM). Weil nach dem Ersten Weltkrieg die Rüstungsproduktion ver­boten wurde, suchte Hirsch ein neues Betätigungsfeld. Es ge­lang ihm, die Hilfe eines Architekten und eines Ingenieurs zu gewinnen, die das Kupferhaus aus Fertigbauteilen für seine Firma entwickelten. Bei den beiden handelte es sich um Ro­bert Krafft und Friedrich Förster, die ab 1929 für die HKM arbeiteten. Ihre Entwicklung bekam 1931 auf der „Internatio­nalen Kolonialausstellung“ in Paris einen „Grand Prix“ und wurde auf der „Deut­schen Bausstellung“ in Berlin präsentiert. Kurz danach übernahm Walter Gropius die Leitung des Kup­ferhausprojekts.

Da die HKM 1932 infolge der Weltwirtschaftskrise und der Bankenkrise in Schwierigkeiten geriet, schloss sie ihre Kupfer­hausabteilung. Stattdessen gründete René Schwartz, der Schwiegersohn des ehemaligen Chefs, die schon erwähnte Deutsche Kupferhaus-Gesellschaft in Berlin, mit der Gropius – wohl wegen künstlerischer Differenzen – nicht zusammenar­beitete. Die DKH vertrieb die villenartigen Haustypen, die wei­terhin im Messingwerk in Finow produziert wurden. Schwartz war von der Idee der „transportablen Heimat“ über­zeugt, und so stellte man angesichts der zu­nehmenden Auswanderung nach Palästina sogar spezielle Kupferhäuser her, die als „Um­zugsgut“ mitgenommen werden konnten. Diese Erlaubnis hatte Schwartz beim Reichswirt­schaftsministerium erwirkt.

Die Exporthäuser erhielten Namen wie Jerusalem, Scharon, Haifa und Libanon. Das Umzugsgut des Typs Haifa bestand aus 34 Paketen mit einem Gesamtgewicht von 15.313 Kilo­gramm. Im Jahre 2009 erschien beim Suhrkamp Verlag ein Buch von dem Architekten Friedrich von Borries und dem Histo­riker Jens-Uwe Fischer mit dem Titel „Heimat-Container, Deutsche Fertighäuser in Israel“. Wie es heißt, sollen 14 Kup­ferhäuser ins heutige Israel exportiert worden sein, von denen noch drei in Haifa und eins in Safed vorhanden sind. Die Fa­milie Hirsch emigrierte übrigens 1932 nach London; der Haupteigentümer des Hirsch Kupfer- und Messingwerks wurde die AEG.

Im Jahre 1934 endete die Kupferhausproduktion. Kupfer war kriegswichtiges Material, und so wurde seine Verwendung vom Reichswirtschaftministerium stark eingeschränkt. Damit war der Kupferhaus­bau nicht mehr möglich. Im Gegenteil. Ein Besitzer eines solchen Hauses in Dahlem strich es laut Berliner Abendschau weiß an, um es zu tarnen, denn er befürchtete, es könne abgerissen und einge­schmolzen werden. Heute wird das Haus so gut es geht in seinen ursprünglichen Zustand zurück­ver­setzt. Seine Befürchtung war nicht ohne Grund. Alle Kup­ferhausbesitzer mussten einen „Meldebogen für Gebäudeteile aus Kupfer“ ausfüllen, auf dem die Quadratmeterzahlen der kupfernen Gebäudeteile und Dachflächen genau angegeben werden mussten. Heinrich Wilhelmi hatte seinen Meldebogen am 1. Juni 1942 ausgefüllt.

In Finow gibt es eine kleine Siedlung, die aus acht Kupferhäu­sern besteht. Sie wurden vom Architek­ten Krafft gebaut und stehen in der Altenhofer Straße 41 bis 48. Ein weiteres Haus in der Altenhofer Straße 2 hat als Architekten Walter Gropius. Diese Häuser waren als Musterhäuser gedacht, die an Ort und Stelle in Augenschein genommen, nach Kaufabschluss ausei­nander­genommen und zum Grundstück des neuen Besitzers trans­portiert werden sollten. Offenbar hat sich aber kein Käu­fer gefunden, denn die Häuser stehen bis heute an ihrem alten Platz und werden als Wohnhäuser genutzt. 

An das Wohnen im Kupferhaus muss man sich vielleicht erst ein bisschen gewöhnen. Einerseits braucht man keinen Blitzab­leiter, denn es wirkt wie ein Faradayscher Käfig. Andererseits ist der Rundfunk- und Fernsehempfang er­schwert. Einerseits ist es gut isoliert und hält im Winter die Wärme und im Som­mer – zumindest im Erdgeschoss – die Kühle drinnen. In der Reklame für die Exporthäu­ser nach Palästina hieß es: „Sie wohnen bei größter Hitze in kühlen Räumen.“ Andererseits ist das Haus hellhö­rig und verlangt gegenseitige Rücksichtnahme seiner Bewohner. Einerseits hat es Ein­bauschränke in Küche und Diele, andererseits kann man nur dort einen Nagel in die Wand schlagen, wo hinter dem Blech durch Klopfen die Holz­pfosten ausgemacht werden können. Dafür  kann man aber alle mögli­chen Zettel und Zeichnungen mit einem Magneten an der „Metall“-Tapete“ befestigen.       

Obwohl nur etwas über fünfzig Kupferhäuser gebaut wurden, hat das Interesse an ihnen nicht nachgelassen. So gibt es neben dem Buch der Autoren von Borries und Fischer zahlreiche Fachbücher, Aufsätze und Examensarbeiten, in denen das Thema behandelt wurde. Am 8. Juni 2004 eröffnete man im Rathaus Reinickendorf sogar eine Ausstellung unter dem Titel: „Das Kupferhaus als Prototyp der vorgefertigten Bauweise“. Die stellte unter anderem klar, dass Kupferhäuser durchaus haltbar sind. Ein Dachdecker sagte unlängst den Gerhardts, dass ihr Haus keine Korrosion aufweise und das Dach noch 20 bis 30 Jahre halten würde. Das muss es auch, denn schließlich soll Enkel Max das Haus eines Tages erben.