Franzosen in Frohnau

Im Amseltal gegenüber dem Teich wohnt der französische Di­plomat Jean-François Dupuis zusammen mit seiner Ehefrau Dominique und seiner Tochter Cassandre-Gabrielle. Außer­dem hat die Katze Minouchou bei Familie Dupuis ihr Zuhause. Sohn Vivien studiert zur Zeit in Frankreich Wissenschaft an der Ecole Polytechnique.

Eigentlich sind Franzosen in dem Haus nichts Besonderes, denn hier gegenüber dem Teich haben schon immer Franzosen gewohnt. Nun ja, ganz so ist es nicht, denn bis 1945 gehörte der prächtige Poser-Bau dem Großbuchbindereibesitzer Erwin Hollmann. Mit Beginn der französischen Besatzung am 12. August b1945 übernahm das Gouvernement Militaire de Berlin (GMB) das Haus in seinen Besitz. Und mit ihm noch eine ganze Reihe anderer Häuser. Man spricht von 260 beschlagnahmten Häusern und 2524 besetzten Wohnungen. Frohnau war in der Nachkriegszeit gewissermaßen das Zentrum der französischen Besatzungsmacht. Sogar der Stadtkommandant Geoffrey de Beauchêne wohnte in Frohnau, und zwar am Fürstendamm.

Von nun an bewohnten, wie gesagt, Franzosen das Landhaus, und zwar höhere Chargen, Militärs und Diplomaten. Man zeigte Flagge an der Tür, beziehungsweise die Trikolore, und stellte anfangs Wachsoldaten vor die Residenz. Unterdessen haben sich die Zeiten gewandelt. Die Alliierten sind abgezogen und schließlich, im März 2010, wurde die Immobilie verkauft – als letzte, die die französische Armee noch im Ausland besaß. Und trotzdem ist die Franzosenzeit für das Landhaus noch nicht vorbei. So wird nicht nur mit dem Centre Bagatelle die Frohnauer französische Tradition fortgesetzt, sonder auch mit dem Haus im Amseltal.

Als M. Dupuis hier im Jahre 2004 einzog, hatte er bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Er hatte sich der Raumfahrt verschrieben, in Nizza seinen Dr. Ing. gemacht und schließlich eine Stelle beim Centre Nationale d’Etudes Spatiales (Französische Raumagentur) gefunden. Diese Behörde schickte ihn in der Welt umher, natürlich auch zum Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana, von wo die Ariane-Raketen ihre Reise ins All antreten. Bevor er nach Berlin übersiedelte, arbeitete er drei Jahre in Oberkassel, das heute ein Stadtteil von Bonn ist und das das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt beherbergt.

Die Ministerin, die ihn nach Deutschland schickte, war übrigens selbst einmal Astronautin, wie M. Dupuis hervorhebt. Claudie Haigneré war von 2002 bis 2004 Ministerin für Forschung und neue Technologien unter der Regierung Raffarin. Sie gab Jean-François Dupuis den Auftrag, die Zusammenarbeit mit Deutschland auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Technologie und nicht zuletzt auch auf dem Gebiet der Raumfahrt stärken zu helfen.

Seit M. Dupuis 2004 an die französische Botschaft am Pariser Platz kam, erfüllt er seinen Auftrag als Botschaftsrat, und zwar bis 2009 für Wissenschaft und Technologie und danach für Raumfahrt (Conseiller Spatial). Zunächst galt es jedoch eine Unterkunft für sich und seine Familie zu finden. Dabei war ihm die Botschaft behilflich. Das Haus im Amseltal war in Bot­schaftskreisen offenbar kein unbekanntes, und außerdem stand es, wie ein günstiges Schicksal es wollte, gerade leer. M. Dupuis griff sofort zu.

Besser hätte es der Botschaftsrat nicht treffen können. Er empfindet das Landhaus noch heute als großes Geschenk. Noch nie habe er in einem so schönen Haus gewohnt, sagt er begeistert. Nicht nur, dass es hier wirklich ruhig sei und man wunderbar schlafen könne. Das sei in Frohnau vielleicht nichts Besonderes. Nein, darüber hinaus habe seine Wohnstatt eine Seele, die sich auf seine Bewohner und Besucher wohltuend auswirke.

So hat er sein Haus zu einer „Maison d’accueil“ gemacht, einem Haus der Aufnahme, des Empfangs, oder besser: zu einem offenen Haus. „Es steht der ganzen Welt offen“, sagt Jean-François Dupuis. „Ich  möchte mein Wohlgefühl mit anderen Leuten teilen.“ Unterdessen haben ihn bereits ungefähr hundert Menschen besucht; sie kamen aus Brasilien, aus Polen, aus Israel, aus Deutschland, aus Afrika, China und Japan und natürlich auch aus Frankreich. Einmal haben sie das ehemalige Heimkind Klaus zwei Jahre lang bei sich wohnen lassen, bis es eine neue Bleibe gefunden hatte. Klaus hatte das 18. Lebensjahr erreicht und deswegen das Heim verlassen müssen.

Jean-François Dupuis und seine Familie sind gläubige Katholiken. So nennen sie ihr Heim auch „das Haus der Maria“. Auf einem Tischchen steht eine kleine weiße Skulptur der Gottesmutter, unter deren Schutz sie sich stellen. Doch auch das tun sie nicht nur allein. Sie laden zum Beispiel Mitglieder der Schönstattfamilie oder Gemeindeglieder von St. Hildegard zu sich ein, um mit ihnen Andachten zu feiern. Der katholische Frohnauer Pfarrer Pomplun wäre auch ein gern gesehener Gast, wenn er denn einmal die Zeit dazu fände, ins Amseltal zu kommen.

Als Familie Dupuis in Berlin noch neu war, besuchte sie die Kirche der hiesigen französischen Gemeinde. Doch eins ihrer Anliegen, das M. Dupuis am Herzen liegt und das er wiederholt erwähnt, ist die Integration. Die Familie möchte nicht abseits stehen, sondern Teil der Berliner und speziell der Frohnauer Gesellschaft sein. Bis 2009 besuchte Tochter Cassandre-Gabrielle die Frohnauer evangelische Schule und machte gleichzeitig ein Fernstudium, das es ihr ermöglichte, neben dem Abitur auch das französische Baccalauréat  zu bestehen. Als ehemalige Ministrantin ist sie natürlich auch im „Jugendkeller“ von St. Hildegard zu Hause. Da sie unterdessen fließend Deutsch spricht, fällt ihr das alles überhaupt nicht schwer. Auch ihr Bruder, der wieder nach Frohnau zurückkehren will, tat in der Frohnauer katholischen Kirche Dienst als Ministrant.

Und was ist mit Dominique Dupuis? Als Hausfrau hat sie sicher die schwierigste Aufgabe, denn sie muss in der überaus aktiven und gastfreundlichen Familie der ruhende Pol sein. Eigentlich stammt sie aus der Bourgogne, aber geboren wurde sie in Casablanca, wo ihre Eltern seinerzeit wohnten. Ihren Mann hat sie dann in Nizza kennen gelernt. Und in Nizza kamen auch die beiden Kinder zur Welt. Jetzt in Frohnau betätigt sie sich in ihrer Freizeit als Fotografin. „Als leidenschaftliche Fotografin“, sagt ihr Mann. Ihre Motive findet sie in ihrem Haus, im Garten und natürlich in der schönen Gartenstadt Frohnau.

Über die Frohnauer Franzosenzeit ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Das soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Nur so viel: Anfangs stöhnten die Frohnauer unter der Besatzungsmacht, die am 12. August nach Russen und Engländern die Bezirke Wedding und Reinickendorf besetzte. Man bezeichnete die neuen Herren sarkastisch als „Russen mit Bügelfalten“, als Besatzer, die sich am „Erzfeind“ rächen wollten. Dass sie dazu durchaus schwerwiegende Gründe hatten, übersah man gern im besiegten Deutschland.

Umso wundersamer ist der Wandel, der sich im Laufe der Jahre vollzogen hat. Selbst da, wo die französische Armee für ihre Offiziere Teile großer Wohnungen beschlagnahmt hatte und man nun enger zusammenrücken musste, verharrte man nicht in feindseliger Haltung, sondern kam sich nach und nach näher, schloss nicht selten sogar Freundschaft. Im Jahre 1947 fand ein gemeinsamer deutsch-französischer Abendmahlsgottes­dienst in der Johanneskirche statt. Die Deutschen, die anfangs nur Zaungäste bei den alliierten Reittournieren sein durften, wurden ab 1949 in den französischen Reitclub aufgenommen. Ab 1950 stand das Offizierskasino Centre Bagatelle auch deutschen Besuchern offen. Die Alliierten waren nicht mehr Besatzer sondern Schutzmächte.

All das ist längst Vergangenheit. Als die Schutzmächte abzogen, war es manchem hier weh ums Herz. Umso mehr freuen wir uns, wenn wir unter uns noch heute Mitbürger wie Familie Dupuis in Frohnau haben dürfen.