Es geschah in Frohnau: Doppeldecker stürzte um

Am 17. Oktober 1958 meldete der Nord-Berliner: „Todesfahrt unter Alkoholeinfluß, Frohnauer Bus­unglück vor Gericht – Fahrer erhielt 2 Jahre Gefängnis“. Berichtet wurde von der Gerichtsverhandlung, bei der der Busfahrer und der Schaffner des Unglücksbusses zur Rechenschaft gezogen wurden. Am 6. April, dem Ostersonntag des Jahres, war etwas geschehen, was bis dato einmalig war und sich glücklicherweise nicht wiederholt hat: Ein BVG-Doppeldecker war umgestürzt, und das ausgerechnet in der Frohnauer Burgfrauenstraße. Von den 74 Fahrgästen fanden vier den Tod,  52 wurden verletzt.

Unglücksursache war, wie das Gericht feststellte, ein schweres Trunkenheitsdelikt des Busfahrers. Der aus Tegel stammende Mann, dessen vollen Namen und Adresse die Zeitung nennt, hatte vor Dienstantritt am Abend des Ostersonntags zwei Gläser Süßwein und – sage und schreibe – fünfzehn Gläser Weinbrand getrunken. Außerdem hatte er nach Feststellung des Gerichts an der Frohnauer Endhaltestelle noch „weitere Spirituosen“ in einer nahen Gaststätte zu sich genommen. Auch sein Schaffner trank bei dieser Gelegenheit zwei Gläser Weinbrand.

Die fahrplanmäßige Abfahrtzeit war 22.38 Uhr. Mit einer Verspätung von fünf Minuten lenkte der Fahrer seinen Doppeldecker schließlich in Richtung Innenstadt. Wie die Fahrgäste als Zeugen bei der Gerichtsverhandlung aussagten, bekamen sie es angesichts der überhöhten Geschwindigkeit des Omnibusses  mit der Angst zu tun. In der Nähe des Otternwegs, dort wo die Burgfrauenstraße damals eine Kurve machte, verlor der Fahrer die Gewalt über sein Fahrzeug. Die zur Verteidigung vorgebrachte Aussage des Fahrers, er sei von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet worden, ließ das Gericht nicht gelten. Der Bus überfuhr die Bordsteinkante und den Radweg und blieb mit den Vorder­rädern abrupt im Sand vor dem Einschnitt der Bahntrasse stecken. Daraufhin stürzte er nach links um und blieb zu zwei Dritteln auf dem Randstreifen und zu einem Drittel auf der Straße liegen.

Als erster bemerkte ein PKW-Fahrer das Unglück. Er alarmierte Polizei und Feuerwehr, die eine große Anzahl von Rettungsfahrzeugen an den Unfallort schickten, darunter vier Löschzüge und sieben Spezialfahrzeuge der Feuerwehr. Ebenso kamen mehrere Krankenwagen des Rettungsamtes. Der Nordberliner vom 11. April 1958  berichtete außerdem, dass sich die unverletzt gebliebenen Fahrgäste um die Verletzten „in anerkennenswerter Weise“ bemühten. Die Toten waren zwei Frauen im Alter von 53 und 63 Jahren und zwei Männer im Alter von 52 und 75 Jahren. Von allen wurden damals der volle Name und die genaue Adresse genannt. Ob Fahrer und Schaffner verletzt waren, wurde nicht erwähnt.

Einen solchen Unfall hatte man bis dahin für unmöglich gehalten. Der Bus wog immerhin neun Tonnen, und auch bei den „gewagtesten“ Schleuderversuchen war, wie die Zeitung kurz nach dem Unglück am 11. April schrieb, noch nie einer umgestürzt. Einen gewissen Anteil an dem Unglück hatte der Umstand, dass die Burgfrauenstraße damals als ehemalige Nebenstraße nur eine Notlösung für den Busverkehr war. Am 1. Juni 1952 hatte die sich abschottende DDR die Oranienburger Chaussee gesperrt, und damit konnte der zwölfer Bus seine alte Route nicht mehr befahren. Er musste sich durch die schmale Burgfrauenstraße quälen, die damals an der Frohnau-Hermsdorfer Grenze in einer Kurve verlief. Man sieht es noch heute an der Ausrichtung der Gartenzäune links und rechts vom Otternweg.

Der Staatsanwalt war der Ansicht, dass auch der Schaffner seine Dienstpflichten verletzt habe, denn erstens hätte er im Dienst keinen Alkohol trinken dürfen und zweitens hätte er erkennen müssen, dass sein Kollege fahruntauglich war. Er hätte ihn daran hindern müssen, sich ans Steuer des Busses zu setzen, denn auch er „trage die volle Verantwortung für die sichere Führung des Autobusses.“ Für den Fahrer forderte der Staatsanwalt dreieinhalb Jahre und für den Schaffner vier Monate Gefängnis. Das Gericht blieb mit seinem Strafmaß unter den Anträgen des Staatsanwalts und verurteilte den Fahrer zu zwei Jahren Gefängnis und den Entzug des Führerscheins für fünf Jahre. Der Schaffner wurde auf Kosten der Landeskasse Berlin freigesprochen.

Unterdessen ist die Burgfrauenstraße längst in zwei Bauabschnitten erweitert und begradigt worden. Schade, dass man damit gewartet hatte, bis das Kind in den Brunnen gefallen war. Eventuell hatte man sich nicht vorstellen können, dass sich die Sperrung der Oranienburger Chaussee so lange hinziehen könnte. Auch nach dem Mauerfall ist die Burgfrauenstraße eine Hauptausfallstraße für Frohnau geblieben und hat in ihrer Bedeutung endgültig die frühere Funktion des Fürstendamms übernommen.

Bei den neuen Doppeldeckern der BVG ist der Schwerpunkt im Übrigen noch niedriger gelegt als bei den Bussen, die 1958 verkehrten. Es gibt also keinen Grund, ein Umkippen zu befürchten. Zwar ist das Schaukeln eines Busses im „Obergeschoss“ weit deutlicher zu spüren als im „Erdgeschoss“, aber dafür hat man von oben die bessere Sicht. Wie sagte damals der freundliche BVG-Mann mit dem Geldwechsler vor dem Bauch und den Fahrscheinblöcken in der Hand? Er fuhr auf der Linie A 62, die als letzte einen Schaffner hatte: „Werte Herrschaften, kommse auch nach oben, in unserer Fernsehabteilung ist noch viel Platz.“