Die erstaunliche Karriere des Justus Wilhelm Hedemann

Justus Wilhelm Hedemann hatte eine erstaunliche Karriere hinter sich, als er am 13. März 1963 in seinem Frohnauer Heim im Edelhofdamm 43 starb. Seinen Beruf als Professor für Zivilrecht hatte er im Kaiserreich, in der Weimarer Repu­blik, im NS-Staat und im Nachkriegsdeutschland ausgeübt. Seinen letzten Forschungsauftrag erhielt Hedemann 1946 vom Rektor der Berliner Universität. Titel: „Europäische Rechtsan­näherung auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts.“ Nach seiner Emeritierung wandte er sich der Religion zu und schloss sich einem kirchlichen Männerkreis an, der einmal im Monat zur Bibelarbeit zusammenkam. Es scheint, als habe er nach seinen schweren Verirrungen im „Dritten Reich“ nun Trost im Glauben gesucht.

Nicht, dass man ihn aufs Abstellgleis geschoben hätte. Er wurde Mitherausgeber der „Juristischen Rundschau“ und fand lobende Worte für die so genannte Naturrechtsrenaissance. Im Jahre 1952, als sich Hedemanns Promotion zum fünfzigsten Male jährte, erneuerte die Universität Köln als Nachfolgerin der Universität Breslau sein Doktordiplom. Zu seinem achtzig­sten Geburtstag, dem 24. April 1958, erhielt er eine prächtige Festschrift, in deren Vorwort seine „Schärfe und Klarheit des Denkens“ und seine „Kraft, die richtigen Wege zu finden“, gelobt wurden. Herausgeber waren Heinrich Lehmann und Hans Carl Nipperdey, zwei renommierte Juraprofessoren. Lehmann, ein Mitschüler von Konrad Adenauer, wirkte lange an der Kölner Universität. Nipperdey war ein führender Rechtswissenschaftler im „Dritten Reich“ und ab 1954 erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel.

Eine Festschrift hatte Hedemann schon einmal erhalten, und zwar 1938 zu seinem sechzigsten Geburtstag. Sie war auf dem Höhepunkt seiner Karriere erschienen und enthielt auf 453 Seiten 31 Beiträge zu den verschiedensten juristischen Sachge­bieten. Im Vorwort wird von der „seltenen Universalität seines rastlosen Forschergeistes“ gesprochen. Herausgegeben wurde die Festschrift von George Anton Löning, Hans Carl Nipper­dey und ... Roland Freisler. Freisler, der ab August 1942 als Präsident des „Volksgerichtshofs“ für Tausende von Todesur­teilen verantwortlich war, hatte einst bei Hedemann gelernt und war nun zu seinem einflussreichen Förderer geworden. Wohl deswegen bezeichnete Hedemann Freisler als seinen be­sten Schüler.

Justus Wilhelm Hedemann stammte aus Schlesien. Er wurde am 24. April 1878 in Brieg geboren. Als der Vater 1886 als Landgerichtsdirektor nach Görlitz versetzt wurde, zog die Fami­lie in die Stadt an der Neiße. Ein Jahr später trat Hedemann in das dortige Humanistische Gymnasium ein und schloss es 1897 mit dem Abitur ab. Sein Vater, der 1891 gestorben war, hatte für seinen Sohn die militärische Laufbahn vorgesehen, und so wurde dieser erst einmal Fahnenjunker beim Berliner Garde-Pionier-Bataillon. Doch ein Reitunfall verhinderte die Fortsetzung der militärischen Karriere. Hedemann galt als kriegsuntauglich und wurde im Ersten Weltkrieg nicht einge­zogen. Noch im Wintersemester 1897 begann er ein Jurastu­dium. Bis 1900 studierte er in Leipzig, Lausanne, Berlin und Breslau.

Von jetzt an ging es Schlag auf Schlag. Anfang 1901 bestand Hedemann sein Referendarexamen mit Auszeichnung. Ende 1902 promovierte er „summa cum laude“. Am 16. Oktober 1903, also mit 25 Jahren, habilitierte er sich in Breslau und ab Wintersemester 1903 unterrichtete er als Privatdozent an der Breslauer Universität. Am 13. März 1904 heiratete er, und et­was über neun Monate später wurde sein Sohn Wilhelm gebo­ren.

Sein nächster Standort war Jena, wo er an der dortigen Univer­sität ab 1906 als außerordentlicher Professor tätig war. Er hatte ein umfangreiches Arbeitsgebiet, angefangen vom römischen Recht bis hin zum internationalen Privatrecht. Er musste im­mer dann einspringen, wenn die Ordinarien ein bestimmtes Gebiet nicht anboten, eine Bedingung, die er gern akzeptierte. Drei Jahre später erhielt er ein Ordinariat. Offenbar fühlte er sich in Jena wohl, denn er blieb dort, trotz verlockender Ange­bote verschiedener Universitäten. Er war in Jena eine Art Star, bezog ein üppiges Gehalt und war bei den Studenten beliebt. Erst 1936 ging er nach Berlin, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1946 Mitglied der dortigen Universität blieb.

In Jena gründete er den Verein „Recht und Wirtschaft“ und etablierte eine neue Disziplin, das Wirtschaftsrecht. Seine Pu­blikationstätigkeit war beachtlich. Unter seinen Veröffentli­chungen waren mehrere Lehrbücher, darunter aus der Zeit des Ersten Weltkriegs ein „Lesebuch für die jungen Juristen im Felde“ und nach dem Krieg eine „Einführung in die Rechts­wissenschaft“ (1919). Schon 1910 hatte er mit der Veröffentli­chung eines monumentalen Werkes mit dem Titel „Die Fort­schritte des Zivilrechts im 19. Jahrhundert“ begonnen, das noch 1968 neu gedruckt wurde.

Kurz vor dem Ende der Weimarer Republik prangerte er in seiner Monographie „Die Flucht in die Generalklauseln“ (1932) die Praxis der Sowjetunion an, die erwünschten Urteile mit Hilfe von Generalklauseln herbeizuführen, wenn die vor­handenen Gesetze das nicht erlaubten. Das heißt, dass die Richter damals häufig nach den „allgemeinen Grundsätzen der Sowjetunion“ entschieden. Als wenig später die Nationalsozia­listen an die Macht kamen, machte er eine Wendung um 180 Grad. Er wurde schon 1933 Mitglied der von den Nazis ge­gründeten Akademie für Deutsches Recht und arbeitete an einem „Volksgesetzbuch“ mit, dessen Entwurf selbst viele Ge­neralklauseln enthielt. Das „Volksgesetzbuch“ sollte der Festi­gung der „Volksgemeinschaft“ aller Deutschen im Großdeut­schen Reich dienen, wurde allerdings nie vollendet. Vielmehr wurden die Arbeiten daran im Sommer 1944, wie Hedemann es ausdrückte, „stillgelegt“.

Justus Wilhelm Hedemann gilt nicht als bedingungsloser An­hänger der Nationalsozialisten, auch wenn von ihm überliefert ist, dass er von der „unvergleichlichen Schönheit und Höhe des Gesetzgebers in der Gestalt Adolf Hitlers“ gesprochen habe. Festzuhalten ist, dass er niemals der NSDAP beigetreten ist. Allerdings war er ab 1934 förderndes Mitglied der SS. Zu den Scharfmachern unter den damaligen Rechtsideologen ge­höre er nicht, habe aber, wie Friedrich-Christian Schroeder am 28. 10. 2005 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb, „durch seine wortgewaltige Mitarbeit an prominenter Stelle wesentlich zur Stützung des Regimes beigetragen.“